Seit der Privatisierung
              ist die Londoner Wasserversorgung maroder denn je. Doch der Investor
              RWE will sich verdrücken Die Privatisierung der Bahnen in
              England war ebenso ein Desaster: Die privaten Investoren ließen
              Gleise und Signalanlagen verfallen, Unfälle kosteten viele
              Tote, der Staat muss Geld zuschießen. 
          Jetzt deutet
              sich im Musterland der Privatisierung öffentlicher
            Dienstleistungen ein zweites Desaster an: Die Leitungen des privatisierten
            Wasser- und Abwassersystems von London verfallen. Seit Jahren protestieren
            Bürger gegen hohe Preise und niedrigen Wasserdruck. Jetzt will
            sich der Investor, der deutsche Energiekonzern RWE, aus der Verantwortung
            stehlen - und das Wasserunternehmen Thames Water so schnell wie möglich
            verkaufen.
           1999 kaufte
              RWE mit Thames Water das umsatzstärkste Wasser-
              und Abwasserunternehmen der Welt. Es hat im Großraum London
              acht Millionen Kunden für Trinkwasser und            15 Millionen für Abwasser. Mit diesem Kauf wollte RWE den Grundstein
              legen, um im globalen Wassergeschäft die Nummer eins zu werden.
              Denn Wasser erschien den Investmentbanken und Versorgungskonzernen
              in den neunziger Jahren als das »blaue Gold«. Die französischen
              Weltmarktkonkurrenten Vivendi/ Veolia und Suez/Ondeo hatten sich
              bereits in die Wasser- und Abwasserwerke von Metropolen zwischen
              Rio de Janeiro, Paris und Djakarta eingekauft.
           1989 wurden
              unter der Regie der wirtschaftsliberalen Regierungschefin Margaret
              Thatcher die Thames Water Utilities Limited als Aktiengesellschaft
              gegründet. Die Begründung: Privates Kapital sei nötig,
              um das verfallende Leitungssystem zu sanieren. US- amerikanische
              Pensionsfonds und Investoren aus dem Londoner Bankenviertel kauften
              die Aktien. Als Geburtstagsgeschenk befreite die Regierung Thames
              Water von allen Gewinnsteuern - wie die anderen privatisierten
              Staatsunternehmen auch.
                          Am Ende wurden viele Wünsche erfüllt: Die Gehälter
                der Manager stiegen, die Wasserpreise stiegen, und die Gewinne
              stiegen.
           RWE hatte ein
              großes Ziel: Man wollte die zweistellige Traumrendite
                  der 1990er Jahre auch im neuen Jahrtausend erreichen. Thames Water
                  eignete sich als Unternehmen aus der Metropole London mit historischer
                  Stellung im britischen Commonwealth gut für die Eroberung globaler
                  Märkte. RWE investierte möglichst wenig und »erwirtschaftete« hohe
                  Gewinne. 
           Damit finanzierte
              der Konzern die Expansion in Asien, Australien, Afrika, in den
              USA, in Kanada und in Südamerika. Der teuerste
                    Brocken war mit acht Milliarden Euro das größte US- Wasserunternehmen,
                    American Water Works. Mit Beteiligungen etwa an den Wasserwerken
                    von Mülheim an Ruhr, Djakarta, Concepción in
                    Chile und Budapest brachten es RWE/Thames Water auf etwa
                    70 Millionen Kunden.
           Das riesige
              Londoner Leitungssystem mit 32.000 Kilometern Trinkwasserleitungen
              und 
                      64.000 Kilometern Abwasserkanälen wurde auf dem technisch niedrigst
                      möglichen Niveau gefahren. London war im 19.Jahrhundert die
                      erste Großstadt, unter der ein modernes, flächen- deckendes
                      Netz von Wasserleitungen, Abwasserkanälen und Pumpstationen
                      gebaut wurde. Heute gehören diese Leitungen zu den ältesten
                      der Welt. Zwischen Wasserwerk und Wasserhahn versickern etwa 30 Prozent
                      des Trinkwassers im Untergrund, mehr als in jeder anderen Stadt in
                      den Industrieländern. Der Wasserdruck schwankt ständig.
                      Privathaushalte und Unternehmen beschweren sich regelmäßig,
                      dass kein Wasser aus dem Hahn kommt oder dass es nur tröpfelt.
                      Außerdem wird das Wasser schal, wenn die Leitungen nicht voll
                      sind.
          Statt das Leitungsnetz
              zu sanieren, beschlossen RWE/Thames Water, eine Beschwerdestelle
              einzurichten.
           Haushalten
              wird eine Entschädigungszahlung von 25 englischen
              Pfund versprochen, wenn sie nachweisen, dass der Druck weniger als
              70 Prozent des Standarddrucks beträgt. Einen solchen Nachweis
              in gerichtsfester Form zu erbringen ist für Privatleute freilich
              schwierig, weil der Wasserdruck sich von einer Minute auf die nächste ändern
              kann. So besteht die Haupttätigkeit der Beschwerdestelle darin,
              die Beschwerden als unbegründet abzuweisen.
           Zudem bauten
              RWE/Thames Water neue Wasserreservoire. Sie leiten mehr Wasser
              in das Leitungssystem, um die schlimmsten Verluste
                auszugleichen.
                Dadurch verschlechtert sich aber die Wasserqualität noch weiter.
                Denn die Wasserreservoire stehen am Unterlauf der Themse, zwischen
                London und dem Meer. Die Themse besteht an dieser Stelle zu etwa
                einem Viertel aus dem Londoner Abwasser und dem Abwasser der vor
                London liegenden Städte. Nicht alle modernen Schadstoffe wie
                Röntgenkontrastmittel und andere Abfälle aus Krankenhäusern,
                chemischen Laboren und Industriebetrieben oder Phosphate aus Waschmitteln
                können vollständig ausgefiltert werden. Zudem ist die Kanalisation
                bei starkem Regen überlastet. Dann werden die Abwässer
                an den Kläranlagen vorbei direkt in die Themse abgelassen. Dafür
                stehen riesige und teure Pumpen bereit. 
          Solche Direkteinleitungen
              ungereinigter Abwässer finden in
            London etwa 50 Mal im Jahr statt. Gerade am Unterlauf der Themse
            stellen Wissenschaftler in wiederkehrenden Untersuchungen fest, dass
            männliche Fische ihr Geschlecht verändern. Und aus dieser
            Brühe wird mit hohem Aufwand das zusätzliche Trinkwasser
            gewonnen, in das Leitungssystem eingespeist, um dann teilweise im
            Untergrund zu versickern.
           Und nicht nur
              Trinkwasserleitungen sind undicht, sondern auch Abwasserkanäle.
              Vor allem die großen Sammelkanäle wurden im 19. Jahrhundert
              mit Ziegeln gemauert. Sie werden durch den intensiven Straßen-
              und Metro-Verkehr der Millionenmetropole ständig erschüttert.
              Immer wieder staut sich Abwasser in geborstenen Kanälen und
              bricht an die Oberfläche durch. So wurde Thames Water zu dem
              englischen Unternehmen, das am häufigsten wegen Umweltdelikten
              belangt wurde. Von 1999 bis 2002 wurde der Konzern in über 20
              Fällen wegen Wasserverunreinigung zu insgesamt 450 000 englischen
              Pfund an Bußgeldern verurteilt. Doch das waren Peanuts im
              Vergleich zu den Kosten der notwendigen Investitionen.
           Allerdings
              hatte RWE damit gerechnet, dass die Regierung unter Tony Blair
              ebenso nachsichtig gegenüber den Privatisierern sein würde
                wie seine Vorgängerin Thatcher. Das erwies sich als Fehlkalkulation.
                Die anhaltenden Proteste in der Bevölkerung fanden auch beim
                Londoner Bürgermeister Ken Livingstone Gehör. Er riet seinen
                Mitbürgern in einer Mischung aus Ernst und Scherz: 
          »Benutzen Sie nach dem Pinkeln die Klospülung nicht mehr!
              Sparen Sie das Wasser für Ihren Tee auf.«
           Da konnte selbst
              Tony Blair seine investorendienliche Linie nicht durchhalten. Er
              gründete die Regulierungsbehörde Office
              of Water Services (Ofwat). Das hatte Folgen: Ofwat verlangte von
              RWE 714 Millionen Euro an Investitionen für die Trinkwasserleitungen
              und 470 Millionen Euro für die Abwasserkanäle - dies zwischen
              2005 und 2010. Damit sollte der tägliche Wasserverlust von 915
              Millionen Liter auf 725 Millionen Liter gesenkt werden. Gleichzeitig
              verlangte die Behörde, dass die Investitionen nicht auf die
              Wasserpreise umgelegt werden dürften. Ofwat gestand nur eine
              Jahresrendite von sechs Prozent zu.
           Das ist den
              RWE-Eigentümern - Allianz Capital Partners, Münchner
                Rückversicherung und US- Investoren - zu wenig. Mit der Ankündigung
                des Verkaufs von Thames Water gab der RWE- Vorstand bekannt, dass
                die Aktionäre in den Jahren 2006 und 2007 eine höhere Dividende
                erhalten sollen. Die notwendige Rendite sei gegenwärtig nur
                im Gas- und Stromgeschäft möglich - und eben nicht im Wassergeschäft,
                wenn dort staatlich reguliert werde. Wer letztlich die Londoner Wasserversorgung
                saniert - das steht in den Sternen. Es ist gut möglich, dass
                dies - wie im Falle der britischen Eisenbahn - wieder Aufgabe der
                Politik wird, die einst so große Hoffnungen in die Privatisierung
                gesetzt hatte. Werner Rügemer
          
          Ergänzung,
                2007: 
          RWE hatte im
              Jahr 2000 Thames Water für
              7,1 Mrd Euro übernommen und verkaufte es im Dezember 2006 mit
              der Genehmigung der EU-Kartellbehörde für 11,9 Mrd Euro
              incl. Schuldenübernahme an das australische Konsortium Kemble
              Water Limited (dirigiert letztlich von der austral. Macquarie-Bank).
              Siehe u.a. dazu: Jens Loewe „Das Wassersyndikat“, 2007
           (Claus Kittsteiner,
              www.Berliner-Wassertisch.net)