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16. November 2008

 

 

 

 

 

 

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WasserInBürgerhand!

HNA 12.11.2008

 

Thüringen zieht die Notbremse

Bergamt bestätigt Kalilaugen-Aufstieg
Ministerium: Keine Versenkung mehr

Von Wolfgang Riek

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Alles auf Stopp bei der Kalilaugen-Versenkung in Thüringen, höchstens drei Jahre Gnadenfrist in Hessen, ganz neue Wege aus der Abfallklemme, für die der Kasseler Düngerkonzern K+S richtig viel Geld in die Hand nehmen will - jetzt geht es an der Werra Schlag auf Schlag:

Mit einem Investitionspaket von bis zu 360 Mio. Euro, das die Umweltprobleme der Kaliproduktion bis 2015 deutlich entschärfen soll, überraschte der Kasseler Düngerkonzern K+S Ende Oktober. Am Montag gab Thüringens Landesbergamt brisante Messwerte preis, die belegen: An der Werra ist es fünf vor zwölf.

Das wird ein Topthema der Sondersitzung am runden Tisch zur Werraversalzung am Mittwoch: Abwässer aus Kaliwerken einfach im porösen Tiefengestein des Plattendolomit verschwinden zu lassen - das soll nach gut 80 Jahren vorbei sein. Hessen will diesen Entsorgungsweg nicht über 2011 hinaus erlauben. In Thüringen gilt das Kapitel ab sofort als erledigt. Die Versenkung im "Pufferspeicher" bei Gerstungen liegt seit gut einem Jahr still. Eine weitere Genehmigung sei "nicht begründbar", stellte Umweltstaatssekretär Stefan Baldus (CDU) schon vor Tagen klar.

Der Anlass dafür stammt aus 480 Metern Tiefe einer neuen Bohrung im Buntsandstein: Die brachte Extremgehalte an Kalium, Magnesium und Bromid im Grundwasser zu Tage. Und so den Nachweis aufsteigender Versenklauge, die dort eigentlich nicht sein darf. Gerstungens Bürgermeister Werner Hartung sieht sich nach jahrelangen Mahnungen bestätigt. Die Alarmwerte des Bergamts kennt er seit Wochen: aus eigenen Messungen in einer Pfütze, die die Bohrfirma am Loch liegen ließ. Eine zweite, möglicherweise sogar brisantere Datenreihe aus 180 Metern Tiefe (also noch näher am Trinkwasser) bleibt unter Verschluss. Sie sei, heißt es im Bergamt, "nicht repräsentativ".

Die Lauge aus dem angeblich dichten Plattendolomit steigt langsam zurück. Versenkt wurde im Werrarevier seit 1925 eine Milliarde Kubikmeter (fünffache Füllung des Edersees). Davon seien bereits 30 Prozent im Grundwasserleiter Buntsandstein unterwegs, fürchtet Hessens Umweltministerium. Anzeichen für Laugen-Einfluss im Trinkwasser? Keine, ließ Thüringens Bergamt am Montag wissen. Und schränkte den Satz mit einem "derzeit" ein.

Hier der Punktsieg für Gerstungen, dort Vorwärtsverteidigung der Genehmigungsbehörden: In beiden Ländern laufen Strafanzeigen wegen Gewässerverunreinigung. In Thüringen geht es vor dem Verwaltungsgericht zudem um den Vorwurf, dass das Bergamt schon den Probebetrieb des Pufferspeichers nicht hätte zulassen dürfen. Gerstungens Anwalt Stefan Reitinger: Seit Jahren stütze "nichts als der Wunsch" die Behauptung, der Plattendolomit sei dicht und das Trinkwasser sicher. Wer wusste wann wie viel oder hätte es zumindest wissen müssen? Diese Frage wird Staatsanwälte und Richter beschäftigen.

K+S räumt einen "lokal begrenzten Einfluss von Salzlösungen" ein. Trinkwasserhorizonte seien nicht betroffen - man strebe in der Gerstunger Mulde weiter eine "zeitlich und mengenmäßig begrenzte Versenkung" an. Ohne die muss K+S eine andere "Bleibe" für jährlich bis zu 700 000 Kubikmeter Lauge aus Unterbreizbach finden. Als Notlager darf der Konzern Teilbaue der stillgelegten Kaligrube Springen fluten.

Die aber sind bis zum Frühjahr voll. Auch in Hessen steigt der Druck: Ralf Krupp, der Gerstunger Gutachter, hat vor der Versalzung des Trinkwassers schon 2007 gewarnt. Und das Aus für die Versenkung gefordert - sofort und komplett. Auch im hessischen Versenkgebiet Kleinensee: Von dort habe die unterirdische Versalzungsfront Gerstungen erreicht, sie sei unterwegs Richtung Eisenach.


Hintergrund:

Über 50 Brunnen

  • Kalilauge wird seit 1925 versenkt, in mehr als 50 Bohrungen bislang. Ein Dutzend sind derzeit in Betrieb - alle in Hessen. Versenken ist für K+S genauso wichtig wie Einleiten in die Werra: Jeweils 6 bis 7 Mio. m3 Lauge werden so jährlich entsorgt.
  • Die alte DDR-Versenkung wurde in den 60er-Jahren dichtgemacht: Damals war aufsteigende Lauge plötzlich aus Wiesen gebrochen und hatte Eisenachs Wasserversorgung gefährdet. Der DDR-"Ausweg": ab in die Werra. Folge: In den schlimmsten Zeiten trug die Werra 30 Gramm Chlorid pro Liter zur Nordsee - statt der nun zulässigen 2,5 Gramm

 

 

Abwasserhahn kleiner gedreht
360-Mio.-Euro-Plan: Besserung für die salzige Werra
und Ausweg aus der Versenkungs-Sackgasse

 

Kassel. Halbierung der Salzabwasserfracht auf die Hälfte bis spätestens 2015 - damit Besserung für die hoch belasteten Flüsse Werra und Weser und eine "erhebliche" Verringerung der Versenkmengen, was mittelfristig wohl im kompletten Stopp dieses Entsorgungspfads enden dürfte: Diese Pflöcke hat der Vorstand des Kasseler K+S-Konzerns gestern eingeschlagen.

Das Investitionspaket von bis zu 360 Millionen Euro in den kommenden sieben Jahren ist laut K + S-Vorstandschef Norbert Steiner auch als "Vorleistung" an den runden Tisch zur Werraversalzung gepackt worden, also auch an die Kritiker der bisherigen K+S-Umweltpolitik.

Das Engagement, so Steiner gestern weiter, sei zudem das Signal für "eine langfristige Perspektive" der Standorte im hessisch-thüringischen Kalirevier. Die wichtigsten Bausteine des 360-Millionen Pakets:

  • Am Standort Hattorf bei Philippsthal soll ein weiterer "nasser" Produktionsprozess auf das trockene Esta-Verfahren umgestellt werden. Vorteil laut K+S: Der Salzwasseranfall schrumpft allein dadurch um 3,5 Millionen Kubikmeter jährlich. Das ist die Hälfte des gesamten Sparziels bis 2015. Nachteil: Die Menge des trockenen Abfallsalzes für die Halde wächst um eine Million Tonnen (Umsetzung bis 2012, Kosten: 60 Mio. Euro)
  • Ebenfalls in Hattorf will K+S über eine Tiefkühlung den Abwässern Kalium und Magnesium entziehen. Das macht die Fluten für die Werra chemisch "weicher" und kann als Strategie angesichts der kommenden Herabsetzung des Härte-Grenzwerts gelten (2011, 75 Mio. Euro).
  • Im Werk Wintershall (Heringen) will K+S die so genannte Kieserit-Flotation aufrüsten - und weitere 500 000 Kubikmeter Abwasser jährlich vermeiden (2011, 25 Mio. Euro).
    Sprung in Thüringen
  • Den technologisch größten Sprung (für 160 Mio. Euro) plant der Kasseler Düngerkonzern bis 2015 im thüringischen Unterbreizbach: Dort soll ein neues Gas- und Dampfkraftwerk entstehen, das die Abwässer der dortigen Produktion eindampft. Zwei Millionen Kubikmeter Magnesiumchlorid-Lösung im Jahr sollen auf die Häfte und in einen dickflüssigen Brei schrumpfen, der sicher verwahrt nach untertage zurück soll. Abraumhalden wie die westlichen Werke hat Unterbreizbach nie gehabt. Könnte der Werra und der strittigen thüringischen Versenkung bei Gerstungen Lauge komplett erspart werden, hätte Unterbreizbach im Vergleich die geringsten Entsorgungssorgen.
K+S-Chef Steiner: "Wir sind an die Grenzen des aus heutiger Sicht bis 2015 technisch Machbaren und des wirtschaftlich Vertretbaren gegangen."
 
 
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