Eine
          kritisch-differenzierte Sicht auf 20 Jahre Privatisierung zogen der
          Arbeitskreis Dienstleistungen von ver.di und die Friedrich-Ebert-Stiftung
          auf einer Tagung im Sommer in Berlin. SPD-MdB Klaus Barthel, Vize im
          Beirat der Bundesnetzagentur, schilderte seine Erfahrungen mit Netzregulierung:
          Während die „asymmetrische“ Regulierung im Telekommunikationsbereich
          für mehr Wettbewerb und niedrigere Preise sorgte, stärkte
          die Netzregulierung noch die Oligopolisten und setzte rein betriebswirtschaftliche
          Kriterien durch. Nun drohe eine Investitionsblockade, falls die Politik
          die Rendite senke, es bestehe ein Wettbewerbsdilemma zu Gunsten der
          großen Vier und es fehlten Instrumente, die Standards privatisierter
          Betriebe zu beeinflussen. Daher riet Barthel (noch vor dem Kollaps
          der Berliner S-Bahn, d. Red.) zu einer Debatte über Servicequalität
          und -standards in verbliebenen Bereichen öffentlicher Daseinsvorsorge.
       Uwe
          Foullong, verdi-Bereichsleiter Finanzdienstleistungen, erinnerte daran,
          dass nirgendwo die Personalausgaben im öffentlichen Dienst
          mehr gesenkt worden seien als in Deutschland (sieben Prozent BIP, OECD-Schnitt
          10,5 Prozent). Die Leitlinie der letzten 20 Jahre des „Privat vor
          Staat“ (Angela Merkel: „Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer“)
          habe zu Beschäftigungsabbau, Lohnsenkung und Qualitätsverschlechterungen
          geführt.
      Immobilien und Energieversorgung am meisten privatisiert
                  Dies
          unterstrich Prof. Wolfgang Gerstlberger, der das Memorandum: „Öffentliche
              Dienstleistungen – unverzichtbarer Baustein der Daseinsvorsorge“ vorstellte.
              Die Studie habe die drei Bereiche Stadtwerke, Finanzdienste und
              Gesundheit/Pflege untersucht. Die Privatisierung sei in drei Phasen
              erfolgt: Vor 1990 wurden
              große Industriebetriebe, wie Veba, Viag und Lufthansa veräußert,
              Anfang der 1990er-Jahre die netzgebundene Infrastruktur (Bahn,
              Post, Telekom) und in den späten 1990ern die regionale Infrastruktur
              (Stadtwerke). Gründe seien die neoliberale Politik der Liberalisierung
              und Marktöffnung
              sowie die Finanznot der Kommunen in den Jahren 2002 und 2005. Die
              am weitesten privatisierten Bereiche sind Immobilien und Energieversorgung.
       Die
          Bürger, so Gerstlberger, seien „50 zu 50“ zur Privatisierung
                gespalten. Die der Telekom sehen sie positiv, die bei Energie, Bahn und
                Abfall negativ. Stark war der Stellenabbau: Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung
                fielen seit Anfang der 1990er rd. 600 000 Jobs netto weg. Im stark privatisierten
                Stadtwerkebereich empfahl Gerstlberger der Politik: klare Kriterien,
                was diese leisten sollen, die Einbindung von Bürgern und Beschäftigten,
                mehr Einflussnahme auf EU-Ebene sowie Nutzung erneuerbarer und
                dezentraler Energiepotenziale.
       Unterfinanzierung
          und Reformstau im Gesundheitswesen
       Im
          Finanzsektor hätten sich die Sparkassen als größte
                    Bankengruppe der Welt mit Fusionen und Effizienzreformen behauptet, die
                    Landesbanken sei in der Krise. Der Politik empfahl er: festhalten an
                    Regionalprinzip und Gemeinwohlorientierung, klare regionale Kundenorientierung,
                    strategische Kooperation zwischen Sparkassen und öffentlichen Betrieben
                    wie Stadtwerken und Kliniken sowie Rückbesinnung der Landes- als
                    lokale und regionale Förderbanken.
       Im
          Bereich der Gesundheit/Pflege konstatierte Gerstlberger Unterfinanzierung
          und Reformstau, daher einen Trend zu mehr
                      Arbeitsverdichtung,
                      Wettbewerb und Privatisierung. Hier schlug er vor: bessere
                      Finanzausstattung im Gesundheitswesen, Aufgabe der Budgetdeckelung,
                      Aufwertung
                      nichtärztlicher
                      Berufe wie Pfleger und Schwestern, Entwicklung integrierter regionaler
                      Versorgungsnetzwerke bei branchenbezogenen Tarifverträgen sowie
                      einen Qualitäts-TÜV.
       Höhere Einnahmen statt Verkäufe
       Im
          Podium wetterte Münchens Kämmerer Ernst Wolowicz, der Staat
                          habe sich selber entreichert, die Politik sich der Kontrolle enthoben,
                          dabei sei öffentlicher Dienst oft effizienter als Private. Doch
                          die Finanzkrise mit ihren Einnahmeverlusten für Kommunen vergrößere
                          das Privatisierungsrisiko. Für Autor Werner Rügemer hat bei
                          Cross-Border-Leasing u.ä. die Kommunalaufsicht, für
                          Kassels Ex-OB Wolfgang Bremeier die kommunalen Gremien
                        versagt. 
       Laut
          Uwe Foullong braucht es höhere Einnahmen statt Verkäufe,
                            um die Finanznot der Städte zu bekämpfen. „Steuersenkungen
                            sind unseriös, eher müssen wir Steuern erhöhen“,
                            wurde Foullong deutlich. Prof. Gerstlberger sprach lieber von mehr Einsatz
                            für branchenspezifische Tarife, qualitäts-, soziale und Umweltkriterien
                            sowie für ein europaweites Handeln der Gewerkschaften. Übrigens
                            stehen am Ende der Studie bündig zentrale Handlungsempfehlungen
                            und -bedarfe für den Gesetzgeber: wenn der dann noch öffentliche
                        Dienste will.
      
      Stefan
          Grönebaum ist Chefredakteur der DEMO