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13. Mai 2009

 

 

 

 

 

 

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WasserInBürgerhand!

BBU-Wasserrundbrief, 3.5.2009

 

Lassen die Kommunen ihr Rohrnetz verrotten?

 

 

"Schon heute versickere aus schadhaften Leitungen täglich eine Wassermenge im Boden, die dem gesamten Tagesverbrauch von Berlin, Hamburg, München und Köln entspricht“,

kritisierte auf einer Podiumsdiskussion anlässlich der Wasserfachlichen Aussprachetagung (WAT2009) am 1. April 2009 der Präsident des Deutschen Rohrleitungsbauverband (rbv). Trotz europaweit niedriger Rohrnetzverluste sei eine Überalterung der Wasserleitungen in Deutschland absehbar.

„Angesichts der aktuellen Erneuerungsrate von weniger als 0,5 Prozent bei vielen Versorgern wird sich der Zustand des Rohrleitungsnetzes dramatisch verschlechtern“, warnte rbv-Präsident KLAUS KÜSEL die zuhörenden Wasserwerker: “Wir bekommen Londoner Verhältnisse!“ (siehe RUNDBR. 822/1, 816/3).

KÜSEL verwies auf eine Studie des österreichischen Ingenieurbüros Gerhard Kiesselbach, nach der eigentlich jährlich mindestens 1,5 bis zwei Prozent des Leitungsnetzes erneuert werden müsste, um den Zustand der Leitungen annähernd auf dem heutigen Niveau zu halten. Eine Verbesserung des Netzes trete erst ein, wenn die Erneuerungsrate zwei bis 2,5 Prozent betrage. Insgesamt werde der Investitionsbedarf ins deutsche Leitungsnetz bereits auf einen zweistelligen Milliarden-Euro-Betrag geschätzt, sagte KÜSEL. Die öffentlich rechtliche Verantwortung für die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser liege aber bei den Kommunen.

„Diese Verantwortung bleibt auch dann bestehen, wenn die Kommunen Versorgungsdienstleistungen einem Privatunternehmen übertragen“, betonte der rbv-Präsident.

HORST SCHLICHT, hochrangiger Mitarbeiter der GELSENWASSER AG, hielt daraufhin dem rbv-Präsidenten vor, dass der Rohrleitungsbauverband „Schreckenszenarien“ male. Und auch JÖRG SIMON, Vorstandsvorsitzender der Berliner Wasserbetriebe, warnte vor dem Predigen pauschaler Prozentsätze zur Rohrnetzerneuerung. In Berlin sei eine Rohrnetzerneuerungsrate von nur 0,8 Prozent voll verantwortbar – dies vor dem Hintergrund, dass in Berlin die Leckagerate nachweisbar kontinuierlich sinke.

Die „richtige“ Rohrnetzerneuerungsrate sei immer abhängig vom Zustand des jeweiligen Rohrnetzes. Die Lebensdauer einer Wasserversorgungsleitung sei dabei aber nicht nur vom Material abhängig. Das Alterungsverhalten werde beispielsweise auch dadurch bestimmt, ob in der Vergangenheit verschiedene Wässer mit unterschiedlichen Chemismen durchgeleitet wurden. Die „Bodenchemie“, also das Bettungsmaterial der Wasserleitung, bestimme das Alterungsverhalten der Rohre ebenfalls. Erst wenn man das Alterungsverhalten über die Schadensentwicklung des jeweiligen Netzes statistisch hinreichend genau erfasst habe, könne man die geeignete Strategie zur Rohrnetzrehabilitierung wählen.

Genau diese Strategie würde aber in viel zu viel Wasserversorgungsunternehmen noch fehlen, kritisierte KÜSEL. Vielerorts orientiere man sich bei der Rohrnetzerneuerung „am Bauchgefühl“. Den Hinweis auf 100 Jahre alte Rohrnetzabschnitte mit voller Funktionstüchtigkeit ließ KÜSEL nicht gelten: „Wir hatten immer Wunderrohre!“ Jetzt aber rolle der Auswechselbedarf aus den 60er Jahren auf die Wasserwerker zu. Die damals eingebauten Rohre stünden demnächst am Ende ihrer Lebensdauer. „Wenn wir jetzt nicht aktiv werden, schaffen wir es später nicht mehr!“

 

Wenn das Straßenbauamt und die Bundesnetzagentur die Rohrnetzsanierung diktieren

Eine bedrohliche Zuspitzung bei der Rohrnetzerneuerung befürchtet der Rohrnetzverband nicht nur wegen der finanziellen Engpässe bei den Kommunen. Bei einer verschleppten und dann flächenhaft erforderlichen Rohrnetzerneuerung würde auch der gesamte Innenstadtverkehr zusammenbrechen. Nach einer jetzt erfolgten Straßensanierung würden die Straßenbauämter Veränderungssperren von zehn bis fünfzehn Jahren verhängen. Wenn die Rohrnetzerneuerung genau in diesen Zeitabschnitt falle, sei das Desaster vorprogrammiert.

Der Präsident des Rohrleitungsbauverbandes forderte deshalb in der Berliner Podiumsdiskussion, das Rohrnetz dann zu erneuern, wenn die Straßen ohnehin aufgerissen werden. Zu dem Zeitpunkt die alten Rohre liegen zu lassen, nur weil Computermodelle den Rohren noch eine Lebensdauer von weiteren zehn Jahren attestieren, sei grob fahrlässig. Angesichts drohender Veränderungssperren müsse man prophylaktisch handeln, auch wenn der Rohrschaden noch gar nicht da sei.

Gegenüber WELT-online vom 29.03.09 gab der rbv-Chef auch der Bundespolitik Mitverantwortung für den Investitionsstau im Wasserbereich. Denn die zum 1. Januar 2009 gesetzlich eingeführte „Anreizregulierung“ im Energiebereich würde indirekt auch Investitionen ins Wassernetz unattraktiv machen. Mit der von der Bun-desnetzagentur in Bonn überwachten Anreizregulierung werden allen Netzbetreibern der Strom- und Gaswirtschaft individuelle Erlösobergrenzen vorgegeben (s. RUNDBR. 839/2-3, 829, 828). Damit will die Bundesregierung für die Netzbetreiber Anreize setzen, ihre Kosten zu senken.

Es sei aber zu befürchten, dass insbesondere die Gasnetzbetreiber ihre Kosten durch Investitionszurückhaltung senken, warnte der rbv-Präsident gegenüber der WELT. Kostenvorteile wie durch die bislang übliche gemeinsame Verlegung von Gas- und Wasserrohren werde es künftig also nicht mehr geben, prognostizierte der Rohrleitungsbauverband. „Kommunen werden es sich zweimal überlegen, Tiefbauarbeiten allein für Wasserleitungen zu veranlassen, wenn diese dadurch im Schnitt um 30 Prozent teurer werden.“

„Das Leitungsnetz aus der Erde holen!“
 

rbv-Präsident KLAUS KÜSEL gab in der Debatte über die richtige Rohrnetzerneuerungsstrategie gerne zu, dass man mit vorsorgendem Handeln bei den Kommunalpolitikern auf Unverständnis stoße. Der auf Abhilfe drängende Zustand der unterirdischen Infrastruktur sei in der Kommunalpolitik nur schwer zu kommunizieren. „Alles was wir sehen, machen wir viel lieber.“ Man müsse deshalb in der Kommunalpolitik Zuspruch für die Rohrnetzsanierung erkämpfen. Der rbv-Präsident schlug zur Akzeptanzgewinnung den Wasserwerkern vor, „die Rohre nach oben zu bringen!“ Defekte Rohrleitungsabschnitte müssten den unwilligen Stadträten und skeptischen Lokalzeitungsreportern zur Schau gestellt werden.

 

Kämmerer melken ihre Stadtwerke

Nur in nicht öffentlicher Diskussion wurde erwähnt, dass eine mangelnde Rohrnetzerneuerung auch auf die Kämmerer der Kommunen zurückzuführen sei: Diese würden wegen der Schieflage der Kommunalfinanzen die Stadt- und Wasserwerke wie eine Zitrone auspressen. Angesichts der politisch geforderten Gewinnabführung würden die Chefs der Stadt- und Wasserwerke dort sparen, wo es am wenigsten auffalle – und das sei eben an der unterirdischen Infrastruktur. Wenn an Wasser- und Kanalrohren gespart würde, falle dies über viele Jahre nicht auf – zumindest nicht in der jeweiligen Wahlperiode der Kommunalpolitiker. In der übernächsten Legislatur-periode sei dann der Schaden umso größer.

 

Rohrnetzzustand:
„Die Nichtkenntnis ist das Übel!“
 

Eine bei vielen Wasserwerken nicht vorhandene Strategie zur optimalen Rohrnetzerneuerung wurde auf der WAT2009 in unterschiedlichster Form thematisiert. Nicht wenige Wasserwerker müssten sich fragen lassen, ob sie überhaupt die Kenntnisse hätten, um strategisch agieren zu können.

„Weiß man, welche Daten man braucht? Weiß man, wie man zu den Mindestdatenbeständen komme, um eine Strategie entwerfen zu können?“

Wer seine Schadensdaten in Abhängigkeit der maßgeblichen Einflussfaktoren nicht über viele Jahre statistisch ausgewertet habe, sehe jetzt alt aus. Ein Diskutant:

„Die Nichtkenntnis ist das Übel! Wenn ich nichts weiß, muss ich mich auch nicht entscheiden und kann über vieles hinwegsehen.“

Es reiche auch nicht, sich alleine nur den Zustand der Rohre anzusehen. Man müsse das ganze System einschließlich Schieber und anderer Armaturen betrachten. Eine Analyse zur Rohrnetzerneuerung müsse darüber hinaus auch die strategische Bedeutung des jeweiligen Rohrleitungsstranges berücksichtigen: Wenn an einer Rohrleitung ein Krankenhaus angeschlossen sei, sei dort mehr Rohrnetzpflege erforderlich als an einer Rohrleitung, die nur eine Reihenhaussiedlung versorge.

Das Arbeitsblatt W400-3 des DVGW „Instandhaltung von Wasserverteilungsanlagen plus Schadens- und Netzstatistik“; müsse selbst in Wasserwerkerkreisen noch mehr popularisiert werden, damit es endlich auch auf breiter Front in den Wasserversorgungsunternehmen angewandt werde. Wer selbst nicht in der Lage sei, eine Schadensstatistik zu erstellen und in eine Netzerhaltungstrategie umzumünzen, müsse sich einen externen Dienstleister in Haus holen. Dieser müsse aber auch nachweisen, dass er fähig sei, eine In-standhaltungsstrategie individuell auf das jeweilige Versorgungsnetz zuschneiden zu können.

 

„Rohrnetzverkleinerung geht nicht!“

Naiverweise könnte man annehmen, dass bei einem zurückgehenden Wasserbedarf einfach nur die Rohrnetzdurchmesser verkleinert werden müssten. Dies stößt aber zum einen auf finanzielle Schwierigkeiten, weil viele Rohrnetze noch gar nicht abgeschrieben sind.

Bei einer technischen Lebensdauer von 80 oder 100 Jahren müssten zudem viele Rohrleitungsstränge aus dem Boden gerissen werden, die noch Jahrzehnte im Untergrund verbleiben könnten. Vielerorts sei eine Rohrnetzerneuerungsquote von einem Prozent üblich. Selbst bei einer Verdoppelung auf zwei Prozent würde „die Verschlankung des Netzes“ 50 Jahre dauern.

Entscheidendes Argument gegen eine generelle Reduzierung der Rohrnetzdurchmesser sei aber, dass der „Ungleichmäßigkeitsfaktor“ immer weiter auseinander driftet: Ständig geringer werdenden Durchschnittsverbräuchen stehen in trockenen Sommern Spitzenverbräuche gegenüber, die nicht im gleichen Maße absinken wie der Durchschnittsverbrauch. Um auch in Spitzenbedarfszeiten die hohe Versorgungssicherheit zu wahren, könne man das Rohrnetz in vielen Fällen gar nicht kleiner dimensionieren. Die Wasserwerker gehen davon aus, dass die Schere zwischen Minimal- und Maximalverbräuchen durch den Klimawandel künftig noch weiter auseinander gehen könnte.

 



Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet regelmäßig über die Angriffe auf die kommunale Daseinsvorsorge. Interessierte können kostenlose Ansichtsexemplare anfordern.

 

 
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