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17. April 2020

 

 

 

 

 

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WasserInBürgerhand!

BBU-Wasserrundbrief, 29. März 2020

Mit der EG-Wasserrahmenrichtlinie
einen neuen Stadtteil verhindern?

 

Immer wieder werden wir mit Anfragen von Bürgerinitiativen konfrontiert, die mit Verweis auf das Verschlechterungsverbot der EG-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) ein unerwünschtes Projekt verhindern wollen. So hat uns letzthin eine BI gefragt, ob man mit Hilfe der WRRL den vor Ort heftig umstrittenen Plan für einen neuen Stadtteil zu Fall bringen könnte. Der geplante Stadtteil für 15.000 Menschen wird von einem Bach durchflossen. Die BI vertritt die Auffassung, dass durch den Neubaustadtteil der Bach eine Verschlechterung erleiden könnte, die nach der WRRL gar nicht zulässig wäre. Die Planer der Stadt würden nicht die sicher kommenden Freizeitaktivitäten der BewohnerInnen des neuen Stadtteils berücksichtigen. Beispielsweise

„wenn da auf über einem Kilometer Länge Tausende ‚ihre Füße reinhängen‘ oder sonst was anstellen und der Bach zur Müllzone  (von Zigarettenstummeln bis Grill- und Gelageresten usw.) wird.“

Unsere Antwort:

... Eure Idee ist gut - auf den ersten Blick. Die ‚Philosophie‘ der WRRL ist aber eine andere: Deren Verschlechterungsverbot greift dann, wenn der gesamte Wasserkörper bei einer der vier zu bewertenden biologischen Qualitätskomponenten (Fische, Wasserpflanzen, Makrobenthosfauna, Kieselalgen) mindestens um eine Zustandsklasse nach unten rutscht (s. RUNDBR. 1075/2, 1068/1-4). Der maßgebliche Messpunkt für den Euch betreffenden Wasserkörper liegt am Hauptfluss weit unterhalb des Bachs mit dem geplanten Neubaustadtteil. Und bei diesem Messpunkt merkt niemand mehr, „ob Tausende ihre Füße in den Nebenbach hängen“. Soll heißen: An einzelnen Stellen des Wasserkörpers sind punktuelle Verschlechterungen zulässig, wenn sie sich nicht auf den ganzen Wasserkörper negativ auswirken.

Umgekehrt heißt das aber auch, dass die Panikmache des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und anderer Industriekreise, dass die WRRL einen zweiten Morgenthau-Plan zur Deindustrialisierung Deutschlands darstellen würde, an den Haaren herbeigezogen ist. Der BDI postuliert, dass in Deutschland keine neue Fabrik mehr errichtet werden könnte, weil deren Abwassereinleitung ein unzulässiger Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot der WRRL wäre (s. RUNDBR. 803/3-4). Aber bei großen Wasserkörpern fallen punktuelle Verschlechterungen gar nicht auf. Auch hier gilt: Das Verschlechterungsverbot würde nur dann greifen, wenn durch die zusätzliche Abwassereinleitung der neuen Fabrik der gesamte Wasserkörper bei mindestens einer der Qualitätskomponenten um mindestens eine Stufe nach unten rutschen würde.

Die Wasserwirtschaftsverwaltungen in den Bundesländern haben in der ersten Hälfte der Nullerjahre mit Absicht äußerst große Wasserkörper mit einem Einzugsgebiet von jeweils hunderten Quadratkilometern ausgewiesen. Absicht war, „bewirtschaftbare Wasserkörper“ zu erreichen. Mit „bewirtschaftbaren Wasserkörpern“ wollte man sich in den Umweltministerien der Bundesländer den Freiraum verschaffen, punktuelle Eingriffe und Verschlechterungen zuzulassen, ohne gleich mit dem Verschlechterungsverbot der WRRL in Konflikt zu geraten (s. RUNDBR. 1068/1).

Industrielobby:
Das Verschlechterungsverbot geht zu weit

 

Dass das Verschlechterungsverbot der EG-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) den industriellen Fortschritt blockieren würde (siehe obige Notiz), ist im Vorfeld einer EU-Ministerratssitzung am 5. März 2020 erneut von Seiten der Industrie artikuliert worden. In einem Schreiben, das dem Nachrichtendienst euraktiv.de in die Hände geraten war, hatte der Industrielobbyverband an die Umweltminister der EU-Mitgliedsstaaten appelliert, dem Verschlechterungsverbot die Zähne zu ziehen. Anlass der Ministerratssitzung am 5. März 2020 war der Fitness-Check der WRRL. Die EU-Kommission hatte die im Dez. 2000 in Kraft getretene WRRL im letzten Jahr auf ihre Gebrauchstauglichkeit überprüfen lassen. Der Fitness-Check war im Dez. 2019 zum Ergebnis gekommen, dass die Richtlinie im großen und ganzen ihren Zweck erfüllen würde („ausreichend funktional“) - siehe die diesbezügliche EU-Mitteilung vom 12.12.19 unter https://kurzelinks.de/o9bo (in englisch). Allerdings würde die Umsetzung der Richtline sehr zu wünschen übrig lassen (siehe Kasten).

 

Fitness-Check der WRRL:
Gewässerschutz wird von gegenläufigen Interessen untergebügelt

In der Überprüfung der Wirksamkeit der Wasserrahmenrichtlinie räumte die Kommission indirekt ein, dass auch nach 19 Jahren große Fortschritte im europäischen Gewässerschutz mit der Richtlinie nicht erreicht werden konnten. Aber immerhin hätte

„die Verschlechterung des Gewässerzustands verlangsamt und die chemische Verschmutzung (hauptsächlich durch Punktquellen) verringert“ werden können. „Andererseits“ hätte „kein wesentlicher Fortschritt in Bezug auf den Gesamtzustand der Wasserkörper zwischen dem ersten und zweiten Bewirtschaftungszyklus“ für die Fließgewässer in der EU erzielt werden können. „Die Umsetzung der Richtlinie hat sich erheblich verzögert, und weniger als die Hälfte der Wasserkörper in der EU befinden sich in einem guten Zustand, obwohl die Frist für die Erreichung dieses Ziels (…) im Jahr 2015 abgelaufen ist“,

schrieb die EU-Kommission den Mitgliedsstaaten ins Stammbuch. Wie bereits in früheren Überprüfungen kam die EU-Kommission auch im Fitness-Check zum Schluss, dass die mangelhafte Zielerreichung der Richtlinie im wesentlichen darauf zurückzuführen sei, dass die notwendige Integration der wasserwirtschaftlichen und gewässerschützenden Zielvorgaben in andere Politikbereiche wie Landwirtschaft, Energie oder Verkehr „noch nicht im erforderlichen Umfang umgesetzt“ werden konnte.

 

 


Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet regelmäßig über die Angriffe auf die kommunale Daseinsvorsorge. Interessierte können kostenlose Ansichtsexemplare anfordern.
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