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3. April 2021

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BBU-Wasserrundbrief Nr. 1174, 19. März 2021

Benzotriazol:
Von der Geschirrspülmaschine ins Trinkwasser

 

Überall, wo in Deutschland Uferfiltrat für die Trinkwassergewinnung genutzt wird, findet sich im Rohwasser das Korrosionsschutzmittel Benzotriazol. Im Rhein zählt Benzotriazol zu den Mikroverunreinigungen, die mit die höchste Konzentration aufweisen. Befunde im einstelligen Mikrogramm-Bereich sind in Oberflächengewässern keine Seltenheit. Am Niederrhein liegt die Jahresfracht an Benzotriazol seit vielen Jahren konstant zwischen 35 und 40 Tonnen - siehe im Jahresbericht 2019 der Arbeitsgemeinschaft der Rheinwasserwerke (ARW) unter

www.arww.org/dokumente/jahresbericht

das Kapitel „Wesentliche Ergebnisse aus dem ARW-Untersuchungsprogramm 2019“. Bei einer ungenügenden Aufbereitung bricht dieses »Rostschutzmittel« bis ins Trinkwasser durch. Die Internationale Rheinschutzkommission (IKSR) hat deshalb vorgeschlagen, Benzotriazol als Indikatorsubstanz für trinkwassergängige Mikroverunreinigungen zu nutzen - siehe den IKSR-Bericht Nr. 183 zu persistenten Korrosionsschutzmitteln als pdf:

https://kurzelinks.de/ddjm

Benzotriazol scheint zu einem guten Teil aus Maschinengeschirrspülmittel zu stammen. Die Hauptfracht scheint aus dem metallbe- und -verarbeitenden Indirekteinleitersekotr herzurühren. In Spülmitteln soll Benzotriazol verhindern, dass es bei Silberbesteck in der Spülmaschine zur Lochkorrosion kommt. Darüber hinaus wird Benzotriazol bei der Reinigung und Autoklavierung von Operationsbestecken in Kliniken und Krankenhäusern als Korrosionsschutzmittel eingesetzt. Auch für einen BTA-Einsatz in der Flächendesinfektion in Schlachthöfen und Krankenhäusern finden sich Hinweise. Demgegenüber wird die Verwendung von BTA als Enteisungsmittel auf Flugplätzen seit etwa zehn Jahren in Deutschland nicht mehr praktiziert.

Benzotriazol ist biologisch so schwer abbaubar, dass es in kommunalen Kläranlagen nur unzureichend eliminiert wird. Über die Kläranlagenabläufe gelangt der Korrosionsinhibtor in die „Vorfluter“ und ist somit in allen abwasserbelasteten Fließgewässern Deutschlands nachweisbar. Im Rahmen einer „Spurenstoff-Strategie“ hat das Bundesumweltministerium im November 2020 einen „Runden Tisch“ zum Thema Benzotriazol (BTA) eingerichtet. VertreterInnen aus allen interessierten Kreisen - vom Verband der Chemie-Industrie (VCI) über die Wasserversorger bis hin zu Umwelt-NGOs - sollen darüber verhandeln, wie das BTA-Problem einer Lösung zugeführt werden kann.

Gibt es überhaupt ein Benzotriazol-Problem?

 

Aus Industriekreisen wird in Zweifel gezogen, dass es überhaupt ein Problem mit Benzotriazol (BTA) gibt. Denn der „Gesundheitliche Orientierungswert“ (GOW), der vom Umweltbundesamt auf 3 µg/l im Trinkwasser festgesetzt worden ist, wird in den wenigsten Oberflächengewässern erreicht. Zudem stellt man nicht nur in Industriekreisen in Frage, dass es in aquatischen Organismen zu einer Anreicherung mit BTA kommen könne. Denn BTA ist gut wasserlöslich. Und von gut wasserlöslichen Substanzen wird in der Regel angenommen, dass sie in Organismen nicht bioakkumulativ wirken können. Allerdings hat die Eidgenössische Anstalt für Wasser, Abwasser und Gewässerschutz (EAWAG) zeigen können, dass es in stark abwasserbelasteten Bächen und Flüssen trotz der hohen Mobilität von BTA zu einer Bioakkumulation in Bachflohkrebsen (Gammariden) kommt - siehe den deutschsprachigen Kurzbericht aus dem Jahr 2018 unter:

https://kurzelinks.de/hygb

Mit einem Bioakkumulationsfaktor von 4 ist die Anreicherung allerdings nur sehr schwach. In REACH beschäftigt man sich mit Stoffen erst, wenn der Bioakkumulationsfaktor bei mehr als 1000 liegt. Aus den EAWAG-Forschungen geht zudem der Erfolg der weitergehenden Abwasserreinigung ("4. Stufe") bei der Eliminierung von Mikroverunreinigungen und dem Schutz der aquatischen Organismen in Fließgewässern unterhalb von kommunalen Kläranlagen hervor. Bei einer Kläranlage, die schon mit einer „4. Stufe“ ausgerüstet war, konnte im „Vorfluter“ unterhalb der Kläranlage keine Anreicherung von BTA und anderen Mikroverunreinigungen in Gammariden nachgewiesen werden.

Umweltverbände pochen deshalb darauf, an ökologisch sensiblen Bach- und Flussabschnitten bei den dortigen Kläranlagen die Nachrüstung mit „4. Reinigungsstufen“ zu forcieren. Das sollte auch für Flussabschnitte gelten, an denen Uferfiltrat für die Trinkwassergewinnung gefördert wird. Da sich in absehbarer Zeit von rund 10.000 Kläranlagen (KA) in Deutschland nur ausgewählte KA mit einer 4. Stufe ausrüsten lassen und wegen zahlreicher Mischwasserentlastungen sollte aber nicht darauf verzichtet werden, die Anwendung von BTA - wo immer sinnvoll machbar - deutlich einzuschränken, so jedenfalls die Meinung des Umweltverbandsvertreters auf einer online-Sitzung des „Runden Tischs“ zu Benzotriazol am 10.12.2020.

Benzotriazol: Wenn das Kartellrecht
den Gewässerschutz versenkt

 

In der Debatte um Benzotriazol (BTA) in Geschirrspülmaschinenreinigungsmitteln entpuppt sich das Kartellrecht immer mehr als Hindernis zu einem Branchenübereinkommen in Richtung BTA-Verzicht. Das Bundeskartellamt könnte eine entsprechende Vereinbarung der großen Hersteller als unzulässige Behinderung des Wettbewerbs einstufen. Auf so ein Risiko wollen sich die Branchenverbände „Industrieverband Körperpflege und Waschmittel“ (IKW) und „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI) auf keinen Fall einlassen.

In Zeiten des European Green Deal ist es für Beobachter der BTA-Debatte zum Haareraufen, dass das Kartellrecht den Gewässerschutz versenkt! In der Öffentlichkeit sei der angebliche Vorrang des Wettbewerbs- und Kartellrechts gegenüber dem Gewässerschutz nicht zu vermitteln.

Umweltverbandsvertreter haben deshalb das Bundesumweltministerium aufgefordert, beim Bundwirtschaftsministerium zu intervenieren, um hier ggf. zu einer Klarstellung zu kommen. Dann könnte auch wieder an die Tradition der Selbstverpflichtungen in der Chemiebranche angeknüpft werden - siehe:

https://kurzelinks.de/36hq

Für ein „grünes Kartellrecht“
 

Auf interessante Aufsätze zum Thema Kartellrecht versus Umweltschutz stößt man, wenn man in eine Suchmaschine die Begriffe „Kartellrecht und Umweltschutz“ eintippt. Die dort zu findenden Aufsätze verdeutlichen, dass auf der EU-Ebene im Hinblick auf Kartellrecht & Nachhaltigkeit einiges in Bewegung gekommen ist. Die Niederlande, Österreich und Griechenland sind da deutlich offener und fortschrittlicher als das konservativ-restriktive Bundeskartellamt. Für Umweltverbandsvertreter ist eine Chance vertan worden, unter der deutschen Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 fortschrittliche Regelungen auf den Weg zu bringen, um auf EU-Ebene das Kartellrecht und den Gewässerschutz zur Deckung zu bringen. Appelliert wird an das Bundesumweltministerium, dass im Jahr 2021 im Nachklapp zur deutschen Ratspräsidentschaft die Bundesregierung trotzdem noch einen Vorstoß unternehmen sollte. In Zeiten einer von der EU-Kommission propagierten Zero-Pollution-Strategie und eines European Green Deals müsste da doch einiges in Richtung "grünes Kartellrecht" zu erreichen sein, so die Hoffnung der GewässerschützerInnen.

 


Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet regelmäßig über die Angriffe auf die kommunale Daseinsvorsorge. Interessierte können kostenlose Ansichtsexemplare anfordern.
Clip-Fisch 2

 
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