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14. Dezember 2022

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WasserInBürgerhand!

BBU-Wasserrundbrief Nr. 1199, 21. November 2022

 

EU-Kommission:
Kein weiterer Pestizideinsatz in Wasserschutzgebieten!

 

Im Sommer 2022 hat die EU-Kommission einen ersten Entwurf für eine EU-Verordnung zur Reduzierung des Pestizideinsatzes veröffentlicht. Der wahrhaft revolutionäre Entwurf sorgt seither für helle Empörung bei den Landwirten. Aber auch in den Parteien stößt der Entwurf querbeet auf Skepsis. Lt. Verordnungsentwurf soll eine Anwendung von Pestiziden in „sensiblen Gebieten“ bzw. in „Schutzgebieten“ nur noch in Ausnahmefällen möglich sein. Die Begrifflichkeit „Schutzgebiete“ wird in dem Entwurf der EU-Verordnung zur Reduktion der Pestizidge-fahren sehr weit gefasst. In Art. 3 mit den Begriffsbestimmungen wird unter Ziffer 16 erklärt, was die EU-Kommission unter einem „empfindlichen Gebiet“ versteht. Nach 16 f) fallen darunter auch die Schutzgebiete, die in der EG-Wasserrahmen-richtlinie 2000/60/EG gelistet sind. Außerdem werden damit die Schutzgebiete erfasst, die sich aus der neuen EU-Trinkwasserrichtlinie 2020/2184 ergeben. Das bedeutet, dass auch in allen Wasserschutzgebieten der Pestizideinsatz auf Null heruntergefahren werden muss! Nach Art. 18 soll generell gelten:

Die Verwendung jeglicher Pflanzenschutzmittel ist in allen empfindlichen Gebieten und in einem Umkreis von drei Metern um diese Gebiete verboten.“

Die Mitgliedsstaaten können aber auch gerne breitere Pufferstreifen ausweisen. Artikel 19 im Verordnungsentwurf ist speziell den „Maßnahmen zum Schutz der aquatischen Umwelt und des Trinkwassers“ gewidmet. Danach soll

„die Verwendung sämtlicher Pflanzenschutzmittel (…) in allen Oberflächengewässern und in einem Umkreis von drei Metern um diese Gewässer verboten“ werden. Den Mitgliedsstaaten soll es freigestellt werden, „angrenzend an Oberflächengewässer größere verpflichtende Pufferzonen ein(zu)richten“.

Stimmen zum Pestizidreduktionsprogramm
der EU-Kommission

Die Positionierung des Umweltbundesamtes (UBA) zum Verordnungsentwurf kann unter

https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/neue-eu-verordnung-weniger-pestizide-geht-nur

nachgelesen werden. Umweltverbänden geht der Verordnungsentwurf nicht weit genug – ein Beispiel:

https://www.savebeesandfarmers.eu/deu/kampagnen-news/eu-consultation-pesticide-reduction/

Schulungsprogramm für Landwirte:
obligatorischer Trinkwasserschutz

 

Nach Art. 25 der geplanten EU-Verordnung müssen sich Landwirte hinsichtlich der Umweltgefährdung durch Pestizide schulen lassen. Die EU-Mitgliedsstaaten sollen verpflichtet werden, zu gewährleisten, dass die Schulungen auch tatsächlich durchgeführt werden. Für vollständig durchgeführte Schulungen bekommen die Landwirte dann einen „Schulungsnachweis“. Welche Inhalte in den Schulungen vermittelt werden müssen, wird in Anhang III zur geplanten Verordnung festgelegt. Nach Ziffer 13 gehört zu den Schulungsthemen die

Minimierung bzw. Unterbinden von Anwendungen bestimmter Pflanzenschutzmittel, die als „schädlich für Wasserorganismen, mit langfristiger Wirkung“, „sehr giftig für Wasserorganismen, mit langfristiger Wirkung“ oder „giftig für Wasserorganismen, mit langfristiger Wirkung“ gemäß Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 eingestuft sind, auf oder entlang von Straßen, Bahnlinien, sehr durchlässigen Flächen oder anderen Infrastruktureinrichtungen in der Nähe von Oberflächengewässern oder Grundwasser sowie auf versiegelten Flächen, bei denen ein hohes Risiko des Abflusses in Oberflächengewässer oder in die Kanalisation besteht.“

Ferner sollen nach Zi. 14 die Landwirte „zum Schutz der aquatischen Umwelt und der Trinkwasserversorgung“ u.a. dazu geschult werden, keine Pestizide mehr anzuwenden, „die Gewässer für die Entnahme von Trinkwasser (…) beeinträchtigen“ könnten.

Grüne Basis will keine Pestizide
in Schutzgebieten

 

Wenn man die Bundesarbeitsgemeinschaft Ökologie in der grünen Partei der Basis zuordnen will, dann artikuliert sich im „Öko-Flügel“ der Grünen Unbehagen und Protest gegen

„ein peinliches Einknicken“ der grünen MinisterInnen-Riege in Bund und Ländern „gegenüber der Agrochemieindustrie und der Lobby der konventionell intensiv wirtschaftenden [Landwirtschafts-]Betriebe“.

Für den Verdruss in der Bundesarbeitsgemeinschaft Ökologie sorgt, dass der grüne Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und die zuständigen grünen MinisterInnen auf Landesebene den von der EU-Kommission vorgeschlagenen Pestizidverzicht in „Schutzgebieten“ nicht in vollem Umfang mittragen wollen. Am 22. Juni 2022 hatte die Kommission nämlich den Vorschlag einer EU-Verordnung zur Reduzierung der von Pestiziden ausgehenden Risiken vorgelegt. Der Vorschlag beinhaltet ein „Verbot aller Pestizide in empfindlichen Gebieten“ (siehe Kasten):

Die Verwendung von Pestiziden an Orten wie städtischen Grünflächen, einschließlich öffentlicher Parks und Gärten, Spielplätzen, Schulen, Freizeit- und Sportplätzen, öffentlichen Wegen und Natura-2000-Schutzgebieten sowie in allen ökologisch empfindlichen Gebieten, die für bedrohte Bestäuber erhalten werden müssen, wird generell verboten.“

Auch in grün geführten Ministerien wird befürchtet, dass die „ökologisch empfindlichen Gebiete“ so große Areale umfassen könnten, dass dort die konventionelle Landwirtschaft aufgrund der geforderten Pestizidreduktionsziele zum Erliegen käme. Dass selbst in den Augen der grünen MinisterInnen die geplante EU-Verordnung zu weit gehen könnte, stößt in der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Ökologie auf Empörung:

Dass jetzt Deutschland unter grüner Mitregierung in Bund und den meisten Ländern die seit langem überfälligen Regeln zur Pestizidregulation der EU in Frage stellt, ist nach Meinung der BAG Ökologie ein sehr peinliches NoGo,“

heißt es in einem breit gestreuten Brief der BAG an Cem Özedmir.

Treiben die grünen Minister eine
Agrarpolitik à la Julia Klöckner?

 

Auslöser der Standpauke der Bundesarbeitsgemeinschaft Ökologie gegenüber den grünen AgrarministerInnen war, dass der Agarausschuss im Bundesrat auch mit grünen Stimmen Kritik an der geplanten EU-Verordnung geübt hatte. Damit würden die Ziele der Grünen zum Biodiversitätsschutz „mit einer Politik im Stile Julia Klöckners ad Absurdum geführt“. In dem Brief stellt die BAG die rhetorische Frage:

Warum sind wir nicht in der Lage, dass in Schutzgebieten aller Art nur noch Ökolandbau gefördert wird? Damit wären viele Probleme gelöst, wir hätten eine vernünftige Landnutzung in den Schutzgebieten und das mehrfach formulierte Ziel von 30% Ökolandbaufläche erreicht.“

Weitere Auskunft zur Positionierung der Bundesarbeitsgemeinschaft Ökologie zur zögerlichen Pestizidreduktionspolitik von Cem Özdemir und seiner Ministerkollegen auf Landesebene gibt es bei der Sprecherin der BAG:

Sibylle C. Centgraf
E-Mail: sibylle.centgraf@gmx.de

EU-Pestizidreduktionsverordnung:
Praktische Umsetzungsprobleme

Tatsächlich wirft der Verordnungsentwurf zahlreiche Umsetzungsfragen auf: Das liegt daran, dass das Pestizidverbot nicht nur in Naturschutzgebieten, sondern beispielsweise auch in Landschaftsschutzgebieten zur Anwendung gebracht werden soll.

So liegt ein Großteil der Weinberge in Stuttgart in Landschaftsschutzgebieten. Wenn dort keine Pestizide mehr eingesetzt werden dürfen, ist für die konventionell arbeitenden Winzer kein wirtschaftlicher Weinbau mehr möglich.

Die den Weinbau betreffenden Landschaftsschutzgebiete sind aber gerade deswegen festgesetzt worden, um den Weinbau und das Landschaftsbild der Rebberge an den Neckarhängen - und damit die heimische Kulturlandschaft - zu bewahren.

Selbst wenn man die dort wirtschaftenden "Wengerter" dazu bewegen könnte, auf Bio umzustellen, wäre das keine praktikable Lösung. Denn in der Auslegung der EU-Kommission fallen auch fungizide Kupferpräparate unter die Begrifflichkeit der Pestizide. Somit wird sogar ein Bioanbau von Wein nicht mehr möglich sein. Die fungizide Wirkung von Kupfer kann bisher nicht durch ein harmloseres Mittel ersetzt werden. Und auch die vermeintlich Pilzresistenden Weinsorten (PiWi) müssen in der Regel zweimal im Jahr mit Fungiziden behandelt werden - insbesondere wenn es ein feuchtes Jahr wie 2021 gibt.

Das Dilemma betrifft nicht die Neckarsteillagen im Großraum Stuttgart, sondern praktisch den gesamten Kaiserstuhl und den Tuniberg. Beide Weinanbauregionen sind als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen. Insofern ist nachvollziehbar, dass selbst die grünen Landwirtschaftsminister in Bund und Ländern nicht in allen Punkten hinter dem Verordnungsentwurf stehen.

CDU: Sicherung der Welternährung
ist wichtiger als Pestizidreduktion!

 

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Steffen Bilger war in der letzten Bundesregierung unter Andreas Scheuer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. Dort wirkte der Jurist als glühender Verfechter des weiteren Straßenausbaus und des Bahnhofsprojektes „Stuttgart 21“. Außerdem arbeitete der Lobbyist der in Ba.-Wü. beheimateten Autokonzerne in vorderster Front daran, der Deutschen Umwelthilfe (DUH) die Gemeinnützigkeit abzuerkennen.

Zu Beginn der neuen Legislaturperiode musste Bilger vom „Verkehrsexperten“ zum „Landwirtschaftsexperten“ umfirmieren. In seiner neuen Rolle als Lobbyist des agrar-industriellen Komplexes hat sich Bilger als Lieblingsfeind den grünen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir ausgesucht. Dass sich Özdemir vorsichtig von einigen Aspekten der geplanten EU-Verordnung zur Reduktion der Pestizidgefahren distanziert hat, findet bei Bilger keine Gnade – im Gegenteil: Anlässlich einer Sitzung des EU-Agrarminister-Rates polterte Bilger am 26. Sept. 2022:

"Die Bundesregierung muss zu den Pflanzenschutzplänen der EU-Kommission endlich klare Worte finden: Denn diese Pläne schießen vollkommen übers Ziel hinaus. Wenn Minister Özdemir wie heute in Brüssel immer wieder zu Protokoll gibt, die Pläne grundsätzlich zu unterstützen, dann handelt er wider die Interessen der deutschen Landwirtschaft. Das Kommissionsvorhaben gehört angesichts der verschärften globalen Ernährungssituation und massiv steigender Preise jetzt komplett auf den Prüfstand."

Schon wenige Tage zuvor hatte ein weiterer CDU/CSU-„Landwirtschaftsexperte“, der Abgeordnete Artur Auernhammer, per Fraktions-Pressemit-teilung am 22. Sept. 2022 in der geplanten EU-Verordnung ebenfalls einen Beitrag zur Verschärfung der Welternährungskrise gesehen:

Die pauschalen Verbote werden der Wirklichkeit auf unseren Feldern nicht gerecht, sondern gefährden in Deutschland und EU-weit die Fähigkeit, sich aus eigener Produktion ernähren zu können. Die Einschränkungen sind künstliche Preistreiber für unsere Lebensmittel und blockieren den Beitrag unserer Landwirtinnen und Landwirte zur Welternährung.“

EU-Pestizidreduktionsverordnung:
Kommission macht einen Rückzieher

 

Mitte November 2022 wurde ein „non-paper“ der EU-Kommission zum Verordnungsentwurf bekannt. Angesichts der überbordenden Empörung über den Verordnungsentwurf macht die EU-Kommission in dem non-paper dem EU-Ministerrat das Angebot, den Verordnungsentwurf in wesentlichen Punkten einzudampfen.

Ob sich das Entgegenkommen gegenüber den zürnenden Mitgliedsstaaten auch auf den Pestizideinsatz in Wasserschutzgebieten und entlang von Oberflächengewässern auswirken wird, werden wir in einem der nächsten RUNDBRIEFE analysieren …

 


Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet regelmäßig über die Angriffe auf die kommunale Daseinsvorsorge. Interessierte können kostenlose Ansichtsexemplare anfordern.
Clip-Fisch 2

 
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