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14. April 2023

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BBU-Wasserrundbrief Nr. 1204, 2. April 2023

 

Warum die erweiterte Herstellerverantwortung
sooo nicht kommen wird

 

Wasserversorger, Kläranlagenbetreiber und deren Verbände – und natürlich auch die Umweltverbände – setzen große Hoffnungen in die Neufassung der uralten EG-Kommunalabwasserrichtlinie aus den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts. Der Entwurf der neuen EU-Kommunalabwasserrichtlinie beinhaltet nämlich als umweltökonomisches Highlight die „erweiterte Herstellerverantwortung“: Hersteller und Inverkehrbringer von Chemikalien, die am Ende als Mikroschadstoffe im Abwasserpfad landen, sollen künftig für die Finanzierung von Bau und Betrieb von „Vierten Reinigungsstufen“ zur Eliminierung der Mikroschadstoffe aufkommen. Warum die Idee in der vorgesehenen Form keine Chance auf Realisierung hat, wird weiter untenstehend erläutert. Zunächst einmal aber zum Inhalt des Entwurfs der Novelle der Kommunalabwasserrichtlinie im Hinblick auf die „erweiterte Herstellerverantwortung“

Pharma- und Kosmetikbranche soll
für „Vierte Reinigungsstufen“ löhnen

 

Der Aufreger in der Neufassung der Kommunalabwasserrichtlinie – nämlich die höchst umstrittene „erweiterte Herstellerverantwortung“ - befindet sich in Art. 9 des Novellenentwurfs. Danach sollen die Hersteller und Inverkehrbringer von Chemikalien, die sich im Abwasserpfad als Mikroschadstoffe entpuppen, an den Kosten für die Installierung einer „Vierten Reinigungsstufe“ aufkommen. Mit der „erweiterten Herstellerverantwortung“ sollen zum einen Schädigungen der aquatischen Lebensräume durch Mikroschadstoffe reduziert werden, zum anderen soll aber auch der Durchbruch von schwer abbaubaren Mikroverunreinigungen bis in die Trinkwasseraufbereitung verhindert werden.

Um die „erweiterte Herstellerverantwortung“ war in Deutschland in der letzten Legislaturperiode anlässlich der beabsichtigten Novelle zum Abwasserabgabengesetz heftig gestritten worden (siehe RUNBR. 1196/1-2, 1150/3-4). Da keine Einigung erreicht werden konnte, war die Neufassung des Abwasserabgabengesetzes seinerzeit u.a. deshalb storniert worden. Im letzten Jahr kam aber durch den Entwurf der Neufassung der Kommunalabwasserrichtlinie neuer Drive via Brüssel in die Debatte. Nach Ansicht der EU-Kommission soll sich die finanzielle Beteiligung der Hersteller und Inverkehrbringer von Mikroschadstoffen an den Kosten für die „Vierte Reinigungsstufe“ nach „den Mengen und der Toxizität der in Verkehr gebrachten Produkte“ richten. Aber schon bei der deutschen Debatte in der letzten Legislaturperiode hatte es viele Fragezeichen bei dem Problem gegeben, wie man verlässlich die Daten zur Menge und Toxizität im Hinblick auf eine nicht überschaubare Vielzahl von Mikroschadstoffen im Abwasserpfad überhaupt verlässlich erfassen könne – und das auch noch mit akzeptablem Verwaltungsaufwand.


»Geldeintreiberorganisationen«
sollen bei der Pharmabranche absahnen

 

Zur Methodik der Abgabenerhebung sieht die Neufassung der Kommunalabwasserichtlinie Art. 9 vor, dass die EU-Mitgliedsstaaten jeweils eine „Organisation zur Herstellerverantwortung“ schaffen müssen. Art. 9 (4) bestimmt, dass die zahlreichen Hersteller und Inverkehrbringer von zwölf ausgesuchten Mikroschadstoffen „ihre erweiterte Herstellerverantwortung gemeinsam“ wahrzunehmen haben, „indem sie sich einer Organisation für Herstellerverantwortung anschließen“. Dieser „Organisation“ gegenüber müssen sich die Hersteller „einmal jährlich“ offenbaren. Dazu müssen der „Organsiation“ die Daten über die jährlich in Verkehr gebrachten Mengen übermittelt werden. Ferner müssen "Informationen über die Gefahr für das Abwasser“ angegeben werden, die von diesen Substanzen ausgehen können.

Die Mitgliedsstaaten müssen sicherstellen, dass die „Organisationen für Herstellerverantwortung“ jährlichen unabhängigen Audits ihres Finanzmanagements unterworfen werden. Diese Betriebsprüfungen sollen auch die Fähigkeit der Organisation mit einschließen, die erforderlichen Beiträge aus dem Kreis der Hersteller und Inverkehrbringer in der notwendigen Höhe einzutreiben. Außerdem muss sichergestellt werden, dass die „Qualität und Angemessenheit“ der Informationen über Mengen und Toxizitäten gewährleistet werden kann.

In Art. 10 werden „Mindestanforderungen an die Organisationen für Herstellerverantwortung“ formuliert. Danach müssen die „Organisationen“ u.a. offenbaren,

  • welche Eigentums- und Mitgliederverhältnisse bei der „Organisation“ vorliegen,

  • welche finanziellen Beiträge aus dem Kreis der Hersteller und Inverkehrbringer erhoben werden und

  • wie die eingenommenen Gelder verwendet werden.

In Art. 10 (2) werden strenge Vorgaben gemacht, auf was die Mitgliedsstaaten bei der Überwachung der „Organisationen“ alles zu achten haben:

Die Mitgliedstaaten schaffen einen geeigneten Überwachungs- und Durchsetzungsrahmen, um sicherzustellen, dass die Organisationen für Herstellerverantwortung ihren Verpflichtungen nachkommen, dass die Finanzmittel der Organ-isationen für Herstellerverantwortung ordnungs-gemäß verwendet werden und dass alle Akteure mit erweiterter Herstellerverantwortung den zu-ständigen Behörden und auf Anfrage den Orga-nisationen für Herstellerverantwortung zuverläs-sige Daten übermitteln.“

Und wass ist mit den importierten Mikroschadstoffen?

 

Im Rahmen des freien Warenverkehrs kommt eine Fülle von potenziellen Mikroschadstoffen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten auf den deutschen Markt. Und auch aus dem Nicht-EU-Ausland werden potenzielle Mikroschadstoffe in großer Tonnage nach Deutschland importiert. Art. 10 legt diesbezüg-lich fest, wie die aus dem Ausland importierten Mikroschadstoffe von der „Organisation“ verlässlich erfasst werden können:

(4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats niedergelassenen Hersteller, die Produkte auf ihrem Markt in Verkehr bringen, eine in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassene juristische oder natürliche Person als Bevollmächtigten benen-nen, um die mit der erweiterten Herstellerverant-wortung verbundenen Verpflichtungen in ihrem Hoheitsgebiet zu erfüllen, (…).“

Wer den Richtlinienentwurf im Orginal nachlesen will, kann den Entwurf zur neuen EU-Kommunalabwasserrichtlinie nebst Begründung in allen EU-Sprachen herunterladen unter:
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=COM%3A2022%
3A541%3AFIN&qid=1666878525782

Pharmabranche muss für alle Kosten
der Viertbehandlung aufkommen!

 

Das zuvor Erläuterte dürfte für die meisten RUNDBR.-LeserInnen kompliziert und bürokratisch klingen. Der eigentliche Knackpunkt der Novelle ist aber in Abs. 1a von Art 9 verborgen. Abs. 1a besagt nämlich, dass die Pharma- und Kosmetikbranche "die Gesamtkosten" für die Viertbehandlung zu tragen hat. Das hat enorme Konsequenzen, die den meisten Interpreten des Richtlinienentwurfs noch gar aufgefallen waren:

  • Denn die Übernahme der „Gesamtkosten“ der Vierten Reinigungsstufen umfasst nicht nur die Planungs- und Baukosten, sondern auch die Kosten für den laufenden Betrieb der Viertbehandlung - eben "die Gesamtkosten". Das ist wahrlich keine Kleinigkeit!

  • In der Debatte um den Richtlinienentwurf ist immer nur davon ausgegangen worden, dass sich der Finanzierungsbeitrag der Pharma- und Kosmetikbranche an der Menge und Giftigkeit der in den Abwasserpfad gelangenden Mikroschadstoffe ausrichten wird. Tatsächlich richtet sich der insgesamt aufzubringende Beitrag aber an den "Gesamtkosten" der Viertbehandlung aus!

Reagieren die Hersteller - wie gewünscht und erwartet - mit einer Schadstoffentfrachtung ihrer Produkte, wird ihnen das wenig nutzen: Je weniger Schadstoffe, desto höher müssen die Beiträge pro Tonne Schadstoff ansteigen, um die "Gesamtkosten" für die Vierten Reinigungsstufen weiterhin decken zu können.

Aus dem Schneider ist man erst dann, wenn man den in der Novelle definierten Schwellenwert von zwei Tonnen pro Jahr unterschreitet. Je mehr Produzenten dieses Ziel erreichen, umso drastischer müssen die Beiträge für die verbliebenen Produzenten und Inverkehrbringer der Mikroschadstoffe ansteigen. Die letzten verbliebenen Produzenten und Inverkehrbringer mit jeweils über zwei Tonnen pro Jahr müssten dann astronomische Beiträge zur Finanzierung der Gesamtkosten der Viertbehandlung im jeweiligen EU-Mitgliedsstaat aufbringen. Da wird es dann naheliegend sein, die Produktion und das Inverkehrbringen von mikroschadstoffhaltigen Produkten gänzlich einzustellen.

Wir haben es also mit einem sehr »dynamischen« und nach oben offenen Modell zu tun, das stark abweicht von der deutschen Abwasserabgabe: Im Abwasserabgabengesetz (AbwAG) sind die Abgabesätze pro Schadeinheit seit dem Jahr 2002 auf rund 36 Euro eingefroren. Und je weniger Schadeinheiten eingeleitet werden, desto geringer wird die Abwasserabgabe – während sie in der Systematik der EU-Kommunalabwasserrichtlinie regelrecht explodieren würde. Selbst der Bundesverband der deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der hierzulande immer am Lautesten für die „erweiterte Herstellerverantwortung“ getrommelt hatte, war nie davon ausgegangen, dass die Hersteller und Inverkehrbringer allein für Bau- und Betriebskosten der Vierten Reinigungsstufen aufzukommen hätten.

Pharma- und Kosmetikbranche
nicht allein verantwortlich!“

 

Der Berichterstatter für die Überprüfung der geplanten Neufassung der Kommunalabwasserrichtlinie, der schwedische EU-Parlamentsabgeordnete Nils Torvalds, hat inzwischen erkannt, welche finanzielle Explosivkraft in Abs. 1a von Art. 9 verborgen ist. In seinem Ende März 2023 veröffentlichten Bericht an das EU-Parlament vertritt das Mitglied der Schwedischen Volkspartei die Auffassung, dass die Hersteller und Inverkehrbringer von Mikroschadstoffen nicht alleine für die Kosten der Viertbehandlung aufkommen sollten. Als Begründung führt er an, dass „die Gesellschaft als Ganzes eine Verantwortung für den Verbrauch und/oder die Verwendung dieser Produkte trägt und daher einen Beitrag leisten sollte“, um die Mikroverunreinigungen aus dem Abwasser »herauszufiltern«.

Man kann also annehmen, dass die Novelle noch so hingebogen wird, dass nicht alle Kosten für die Viertbehandlung ausschließlich bei der Pharma- und Kosmetikbranche abgeladen werden. Insider in Brüssel vermuten allerdings, dass die Inhalte des Richtlinienentwurfs derart komplex sind, dass es gar nicht mehr gelingen wird, in der laufenden Legislaturperiode des EU-Parlaments einen Kompromiss mit der EU-Kommission und dem Ministerrat zu erreichen


Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet regelmäßig über die Angriffe auf die kommunale Daseinsvorsorge. Interessierte können kostenlose Ansichtsexemplare anfordern.
Clip-Fisch 2

 
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