aktualisiert:
4. August 2006

 

 

 

 

 

 

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  Recht und Unrecht  


WasserInBürgerhand!

 

aus dem BBU-Wasser-Rundbrief
Nr. 829 vom 22.Juli 2006

Von der „Modernisierung“ der Wasserwirtschaft zur Flurbereinigung der Wasserwerke

 

 

Im März 2002 hat die Bundesregierung ihren Bericht zur „Modernisierungsstrategie für die deutsche Wasserwirtschaft und für ein stärkeres internationales Engagement der deutschen Wasserwirtschaft“ vorgelegt (Bundestags-Drucksache 16/1094). Der Bericht geht zurück auf einen Beschluss des Bundestages (14/7177) vom März 2002 (s. RUNDBR. 637/1-2). Damals hatte die rot-grüne Koalition die Bundesregierung aufgefordert, in Kooperation mit den Ländern und den Fachverbänden eine Modernisierungsstrategie für die deutsche Wasserwirtschaft zu entwerfen.

Weniger in den beiden BT-Drucksachen, dafür aber um so mehr im medialen Begleitkonzert und in den Stellungnahmen aus dem Bundeswirtschaftsministerium wurde als „Modernisierung“ vorwiegend eine Flurbereinigung in den über 6.000 Wasserversorgungsbetrieben in Deutschland verstanden: Aus der Vielzahl von Wasserunternehmen sollten sich schlagkräftige und potente Unternehmen herauskristallisieren, die fähig wären, auf dem „Weltwassermarkt“ den dort agierenden Global Players Paroli zu bieten.

Die „Flurbereinigung“ im Wassersektor scheint jetzt zu kommen - aber anders als zunächst gedacht. Über die vom Bundeswirtschaftsministerium und von der Bundesnetzagentur geplanten „Anreizregulierung“ soll jetzt nämlich die in Stadtwerken und Regiebetrieben organisierte kommunale Energieversorgung abgewürgt werden. Damit wird in einem Aufwasch auch gleich die ebenfalls in Stadtwerken und Regiebetrieben bewerkstelligte kommunale Wasserversorgung der „Konsolidierung“ eingedampft. Über die voraussichtlich höchst einschneidenden Folgen der „Anreizregulierung“ für die kommunale Versorgungswirtschaft informieren die nachfolgenden Notizen.

 

„Anreizregulierung“:
Konzentrationswelle erfasst Wasserwerke!
 


Spätestens seit dem das Bundeswirtschaftsministerium im Jahr 2000 zum Blindflug ins aquatische Wunderland des Neoliberalismus angesetzt hatte (s. RUNDBR. 599), ist es erklärter Wille aller Bundesregierungen und Bundestagsmehrheiten, eine große Flurbereinigung im Kleinklein der kommunalen Wasserwerke und Abwasserbetriebe anzureizen. So richtig erfolgreich war aber keiner der Bundes- und Länderwirtschaftsminister mit diesem gebetsmühlenartig vorgetragenen Ansinnen. Was man mit der vermeintlichen „Modernisierung der deutschen Wasserwirtschaft“ auf dem direkten Weg nicht erreichen konnte, scheint man jetzt auf indirekten Weg aber um so erfolgreicher bewerkstelligen zu können.

Alles spricht dafür, dass mit der „Anreizregulierung“ der Bundesnetzagentur die bislang größte Konzentrationswelle in der deutschen Stadtwerkelandschaft in Gang gesetzt werden wird. Bei der Deckelung der Netzdurchleitekosten für Strom und Gas ist von Wasser nie die Rede. Aber wenn die kleinen und mittleren Stadtwerke durch die ruinöse Politik der Bundesnetzagentur stranguliert werden, wird auch der Wassersektor der Stadtwerke der „Konsolidierung“ anheim gegeben. In der Juliausgabe 2006 der „Zeitung für kommunale Wirtschaft“ (Zfk, s. 776/4) wird in einer Fülle von Kommentaren und Artikeln erläutert, wie die Preisvorgaben („Anreizregulierung“, siehe Kasten) der Bundesnetzagentur auf eine Flurbereinigung bislang unbekannten Ausmaßes in der deutschen Stadtwerkelandschaft hinauslaufen werden (s. RUNDBRIEF 828/2-3).

Die nachfolgenden Notizen basieren (sofern nicht anders angegeben) auf den Darstellungen in der Zfk, die dem Verband kommunaler Unternehmen (VKU) nahe steht. Bemerkenswert ist, dass seitens der Umweltverbände die Rasenmäherpolitik der Bundesnetzagentur kommentarlos hingenommen wird. Der mit dem populistischen Schlachtruf der Wirtschaftsminister nach niedrigeren Strom- und Gastarifen durchgesetzten „Anreizregulierung“ wird bislang in der Zivilgesellschaft nur von den Personalräten der Stadtwerke Widerstand entgegengesetzt.

 

 

Wie funktioniert die „Anreizregulierung“?

Die Bundesnetzagentur (BNA) verpflichtet die Betreiber von Strom- und Gasnetzen (vom großen Energieversorgungsunternehmen (EVU) bis zum kleinen Stadtwerk) die Kosten für die Durchleitung von Strom und Gas zu senken. Hierzu hat die BNA am 30. Juni 2006 ein Konzept vorgelegt, das der Bundesregierung als Basis einer entsprechenden Verordnung dienen soll. Die von der BNA vorgesehene „Anreizregulierung“ soll ab 2008 zu kontinuierlich sinkenden Durchleitekosten führen und sich beim Endkunden in niedrigeren Strom- und Gaspreisen niederschlagen. Bei der künftig vorgesehen „Anreizregulierung“ deckelt die Agentur die Durchleitegebühren. Dies soll für die Unternehmen einen Anreiz setzen, ihre Netze so effizient wie möglich zu betreiben. Nur den Unternehmen, denen es gelingt, kostengünstiger als die gedeckelten Durchleitegebühren zu wirtschaften, können dann noch eine Rendite im Netzbetrieb erwirtschaften. Die gedeckelten Durchleitegebühren sollen pro Jahr um mindestens 1,5 bis zwei Prozent sinken. Damit soll auf die Unternehmen ein kontinuierlicher Druck ausgeübt werden, fortlaufend die Effizienz ihres Netzbetriebes zu steigern. Diese „Spirale der Effizienzsteigerung“ soll mittelfristig eine Senkung der Netzentgelte von bis zu 40 Prozent bewirken. Das Konzept sei ein „Fitness-Programm“ für die Unternehmen, behauptet BNA-Chef MATTHIAS KURTH (HB, 03. u. 04.07.06). Bereits vor dem Anlaufen der Anreizregulierung im Jahr 2008 hat die BNA begonnen, zahlreiche EVU zu zwingen, ihre Durchleitegebühren bis zu 15 Prozent zu senken.


 

„Anreizregulierung“:
Datenhunger überfordert kleine Netzbetreiber

 

Schon allein mit völlig überzogenen Daten- und Statistikabfragen gelingt es der Bundesnetzagentur, die kleinen und mittleren Netzbetreiber an die Wand zu drücken. So haben in NRW nahezu alle kleinen Netzgenossenschaften bereits das Handtuch geworfen. Der Aufwand für die Datenabfrage durch die Regulierungsbehörde war für die ehrenamtlich geführten Genossenschaften nicht mehr zu bewältigen. Und selbst mittlere Stadtwerke klagen inzwischen darüber, dass die Regulierung von den Stadtwerken einen Aufwand verlange, der kaum zu tragen sei. Beispielsweise sind bei den Stadtwerken Baden-Baden zwei Mitarbeiter „allein damit beschäftigt, die Datenanforderungen der Behörden zu erfüllen“. Im Oktober 2005 hat die Bundesnetzagentur einen „ehrfurchtsgebietenden Erfassungsbogen“ an die Netzbetreiber geschickt. In 16.000 (!) Eingabefeldern mussten die Netzbetreiber die unsinnigsten Auskünfte - zurückreichend bis ins Jahr 1945 - übermitteln. Der Datenhunger der Bundesnetzagentur und der darauf basierende Regulierungsansatz „sei ohne Bezug zur Realität“ kritisiert THOMAS MAHLBACHER, Geschäftsführer der Stadtwerke Fellbach, in einer in der Zfk veröffentlichten Abrechnung mit der Politik der Bundesnetzagentur.

 

„Anreizregulierung“:
Kleine Netzbetreiber werden platt gemacht
 

Bei der Anreizregulierung legt die Bundesnetzagentur zudem von der kleinen Netzgenossenschaft bis zu den großen Energieversorgern wie EON und RWE die gleichen Maßstäbe an. Das kleine Gogomobil und der große Kieslaster werden von der Bundesnetzagentur über den gleichen Kamm geschoren. Das Rasenmäherprinzip der Bundesnetzagentur bei der Regulierung der Netze nimmt den Kleinen die Luft. Angesichts der „massiven Benachteiligung kleinerer Netzbetreiber“ (VKU) könne von einer auch nur ansatzweisen Chancengleichheit keine Rede mehr sein. Der von der Bundesnetzagentur beschworene „Wettbewerb“ wird damit enden, dass kleine Netzbetreiber trotz aller Innovationen und Kreativität platt gemacht und aus dem Markt gedrängt werden.

Profitieren werden damit von der zweiten „Liberalisierungswelle“ die Gleichen, die bereits ihren Gewinn aus der ersten „Liberalisierungswelle“ gezogen haben: Nämlich das trotz aller Wettbewerbsideologie gefestigte Oligopol von REW, EON, VATTENFALL und EnBW sowie vielleicht zwei Dutzend Regionalversorger und große Stadtwerke. In einer Polemik zur Rasenmäherpolitik der Bundesnetzagentur schreibt DIETMAR PAUTZ, Geschäftsführer der Stadtwerke Finsterwalde GmbH, dass Politik und Regulierer „derzeit nur einen Kundentyp“ berücksichtigen würden - „den Schnäppchenjäger“. Und weiter: „Die einseitige Ausrichtung auf den niedrigsten Preismaßstab“ lasse aber „eine Nivellierung aller Unternehmen auf Billig-Niveau befürchten“. Die gegenüber allen Einwändungen offenbar ignorante Bundesnetzagentur sei darauf aus, die Stadtwerke einer rigorosen „Hungerkur“ zu unterziehen, so die Klage von MICHAEL WÜBBELS, stv. Hauptgeschäftsführer des VKU in einem bitteren Leitkommentar in der ZfK.

Um dem Kostendruck und den Effizienzvorgaben der Netzagentur einigermaßen standhalten zu können, sehen sich die Stadtwerke inzwischen gezwungen, einen radikalen Rationalisierungskurs auf Kosten der Beschäftigen zu fahren, was auch der Geschäftsführer der Stadtwerke Fellbach beklagt:

„Gerade die kleineren Stadtwerke sind fast traditionell effizienter als die großen EVU. knapper Personaleinsatz und flache Hierachien bestimmen das Bild. Zusätzliche Effizienzsteigerungen bedeuten dann zu Lasten der viel beschworenen Versorgungssicherheit und des Kundendienstes zusätzlichen Personalabbau.“

Allmählich dämmert auch den Personalräten der Stadtwerke, was da an Rationalisierungsdruck auf sie zukommt. Wenn alle Effizienzpotenziale aufgebraucht sind, bleibt das Personal noch „die einzige Stellschraube, um Kosten zu reduzieren“, wird der Personalrat der Stadtwerke Hanau in der FR vom 12.07.06 zitiert. Die Personalräte der südhessischen Stadtwerke und Energieversorger hatten deshalb für den 12. Juli zu einer Demo in Frankfurt/Main gegen die Politik der Bundesnetzagentur und den Populismus der Länderwirtschaftsminister aufgerufen.

 

„Anreizregulierung“:
Kommunales Vermögen wird entwertet
 

Hinzu kommt, dass die von der Bundsnetzagentur angestrebte Wertberichtigung der Netze nicht nur zu unmittelbaren Erlöseinbußen bei den Stadtwerken, „sondern auch zu einer Entwertung kommunalen Eigentums im großen Stil“ (VKU) führen wird. Da die Netze der Stadtwerke im Hinblick auf die „Anreizregulierung“ der Bundesnetzagentur in vielen Fällen nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben sind, müssen sie weit unter Wert verkauft werden, befürchtet MAHLBACHER, der hierzu weiter ausführt:

„Da die Netze der Stadtwerke aber mit hohem Aufwand von den Kommunen errichtet oder gekauft wurden, bedeutet dies den erheblichen wenn nicht völligen Wertverfall des Netzeigentums.“

Dies werde „unmittelbare Auswirkungen auf den kommunalen Haushalt“ haben. Sarkastisch beendet MAHLBACHER seinen Zfk-Kommentar mit folgendem Ausblick:

„Wenn erst einmal ein Teil der Stadtwerke vom Markt verschwunden ist, wenn die Netze zusammengespart wurden und sich unsere Netz-Ausfallraten dem internationalen Durchschnitt anpassen, dann will es keiner gewesen sein. Die Parlamentarier nicht und die Netzagenturen erst recht nicht. Die wollten ja immer nur unser Bestes.“

Ein Wirkmechanismus der ruinösen Politik der Bundesnetzagentur funktioniert auch dadurch, dass mit diesem Abwürgkurs zusätzlich die Bonität der Stadtwerke gegenüber den Banken drastisch reduziert wird. Wenn die Ratingeinstufungen der Stadtwerke zurückgesetzt werden, müssen die Banken nach den Rahmenbedingungen von „Basel II“ bei der Kreditvergabe die sinkende Bonität mit höheren Kreditzinsen ausgleichen. („Basel II“ bewirkt, dass die Eigenkapitalunterlegung bei der Kreditvergabe durch Banken nach der Ausfallwahrscheinlichkeit eines Kredits differenziert werden muss.) Über diesen negativen „Rückkopplungsprozess“ werden die Überlebenschancen der kleinen und mittleren Stadtwerke noch weiter nach unten gedrückt.

 


Wie Stadtwerke ruiniert werden

Die Politik der Bundesnetzagentur läuft darauf hinaus, die Netzbetreiber zu zwingen, alles Effizienzreserven in nur sechs bis acht Jahren auszuschöpfen. Das ist nach Ansicht des VKU nicht möglich.

„Schließlich haben wir es mit einer anlagenintensiven Branche zu tun, und diese technischen Anlagen haben eine durchschnittliche Lebensdauer von 30 Jahren und mehr.“

Zudem sieht das Konzept der Bundesnetzagentur vor, dass Effizienzvorgaben auch auf bereits getätigte Investitionen gemacht werden sollen. Netzbetreiber werden dadurch gezwungen, einen Teil ihrer Netze sofort abzuschreiben. Auf diese Weise würde „unter dem Deckmantel der Anreizregulierung kommunales Vermögen in Millionenhöhe vernichtet“, warnt der VKU. Um die Daumenschrauben gegenüber den Netzbetreibern weiter anzuziehen, ist die BNA auch nicht bereit, kalkulatorische Kosten, wie z.B. die Gewerbesteuer, in voller Höhe anzuerkennen.


 

„Anreizregulierung“:
Öffentlicher Nahverkehr auf das Abstellgleis
 

Ein „Nebeneffekt“ der „Anreizregulierung“ wird nicht nur eine Konzentrationswelle bei Stadt- und Wasserwerken sein, sondern auch eine drastische Angebotsminderung beim Öffentlichen Nahverkehr. Denn die bislang überwiegend aus dem Netzbetrieb resultierenden Gewinne der Stadtwerke und Regiebetriebe wandern über den „Querverbund“ größtenteils in den chronisch defizitären Nahverkehr. Schätzungen des Deutschen Städtetages zufolge werden jährlich etwa eine Milliarde Euro aus den bislang gewinnträchtigen Strom- und Gasnetzen in den Betrieb der Straßenbahnen und Busse transferiert (HB, 04.07.06). Die auf kaltem Weg über die „Anreizregulierung“ erzwungenen Einschnitte beim Öffentlichen Nahverkehr werden sich auf die Takteinschränkungen und die Streichung ganzer Linien aufsatteln, die sich jetzt daraus ergeben, weil die Bundesregierung ihre Zuschüsse für den Öffentlichen Nahverkehr drastisch gekürzt hat.

„Anreizregulierung“:
„ Spiel mit dem Feuer“
 

Unter dieser Überschrift haben 26 Bürgermeister und Oberbürgermeister parteiübergreifend eine ganzseitige Anzeige im HANDELSBLATT (HB) vom 03.07.06 geschaltet. In der Anzeige warnen die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, dass die „Anreizregulierung“ die „Existenz vieler der rund 700 kommunalen Unternehmen der Energiebranche und ihrer 140.000 Beschäftigten gefährden“ wird. Bei der Umsetzung der „Anreizregulierung“ könnten bis zu 70.000 Arbeitsplätze in der kommunalen Versorgungswirtschaft wegbrechen. Und zum Strukturwandel, der durch die „Anreizregulierung“ erzwungen wird, schreiben die Bürgermeister:

„Eine kundennahe und kommunalorientierte Energieversorgung wird unter diesem Zeit- und Kostendruck vielerorts nicht mehr möglich sein. Netze müssten verkauft werden. Im Ergebnis würden die großen Monopole gestärkt.“

Darüber hinaus sei fraglich, ob es dann „eine kommunale Versorgungswirtschaft in der breiten Fläche künftig überhaupt noch geben wird“. Wegen der als höchst bedrohlich erachteten Entwicklung haben sich in den letzten Wochen praktisch alle Stadtwerke an die jeweiligen Wahlkreisabgeordneten der Koalitionsfraktionen gewandt und die MdBs zu Gesprächen über die dramatischen Folgen der „Anreizregulierung“ eingeladen. Der Ak Kommunalpolitik der SPD-Bundestagsfraktion hat den SPD-Parlamentariern empfohlen, diesen Einladungen noch in der Sommerpause zu folgen.

 


Der seit 25 Jahren erscheinende BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet alle 14 Tage über das aktuelle Geschehen in der Wasserwirtschaft und in der Wasserpolitik sowie im Gewässerschutz. Ansichtsexemplare dieses aquatischen Informationsdienstes der anderen Art können kostenlos via E-Mail an nik@akwasser.de angefordert werden.

 

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