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21. März 2006

 

 

 

 

 

 

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  Recht und Unrecht  


WasserInBürgerhand!

 

Auszüge aus dem BBU-Wasser-Rundbrief
Nr. 819 vom 26.Februar 2006

Europäischer Gerichtshof:
Vernichtende Schläge gegen ppp

 

Im Pulverdampf der Scharmützel um die „Bolkestein-Richtlinie“ ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet geblieben, dass auf der Basis von Uralt-Dienstleistungs-Richtlinien aus den 1990er Jahren der Europäische Gerichtshof (EuGH) derzeit dabei ist, die Dienstleistungsverträge im Abfallbereich aufzurollen. Abfallunternehmen - aber auch Wasser- und Abwasserunternehmen -, die nicht unter 100%iger Kontrolle der Kommune stehen, müssen sich einem EU-weiten Ausschreibungswettbewerb stellen. Nach den EuGH-Urteilen

  • zum „Abwasservertrag“ zwischen der Gemeinde Bockhorn und der EVU Weser-Ems AG (Rechtssache Az. C. 20/01; s. RUNDBR. 786/1),
  • nach den Nachforschungen zum Müllverbrennungs-Vertrag zwischen der Stadtreinigung Hamburg (SRH) und vier umliegenden Landkreisen (s. 787/2) und ähnlich gelagerten Verträgen (beispielsweise zur Müllverbrennung im Rhein-Neckar-Kreis)
  • sowie dem Furore machenden „Halle-Urteil“ („Inhouse-Geschäfte“ - also Auftragsvergaben ohne EU-weite Ausschreibung - sind nur mit 100 Prozent kommunaleigenen Gesellschaften zulässig) (s. 787/1)

hat der EuGH zum definitiven Schlag gegen privat-public-partnerships (ppp) und kommunale Aktien-gesellschaften ausgeholt: Mit seinem Urteil vom 13. Oktober 2005 verschärfte der EuGH nämlich seine Rechtsprechung zu ppp-Gesellschaften beträchtlich: Denn es komme bei einem Verzicht auf einen EU-weiten Vergabewettbewerb nicht nur darauf an, dass Tochtergesellschaften zu 100 Prozent im Besitz der Kommunen seien (siehe „Halle-Urteil“). Die Tochtergesellschaften müssten nicht nur formell, sondern de facto unter vollständiger Kontrolle der Kommune stehen! Dies konnte der EuGH bei der „Parking Brixen AG“ in Südtirol nicht erkennen. Die „Parking Brixen AG“ gehört zwar zu 100 Prozent der Stadt Brixen, hat aber als Aktiengesellschaft nach Ansicht des EuGH so viele Freiheiten, dass von einer direkten Steuerung durch die Kommune nicht mehr gesprochen werden könne. Nicht nur der Vorstand, sondern auch der Aufsichtsrat seien zu sehr vom kommunalen Willen abgekoppelt. Deshalb sei es unzulässig, dass die Stadt Brixen ihr Tochterunternehmen ohne EU-weite Ausschreibung mit dem Bau und dem Betrieb von Parkhäusern beauftragt habe (Urteil „Parking Brixen“ C-458/03).

Sicher ist nur der kommunale Eigenbetrieb!
 


Die Spielräume für Kommunen, die Leistungen der kommunalen Daseinsvorsorge ohne Wettbewerb auf Tochtergesellschaften übertragen wollen, wer-den somit immer enger. Die EuGH-Urteile blockieren nicht nur die in den letzten Jahren stark propagierten ppp-Modelle. Auch die Ausgliederung von kommunalen Wasser- und Abwasserbetrieben in 100 Prozent kommunaleigene Aktiengesellschaften wird zunehmend fragwürdig. Wenn bei den Aktiengesellschaften strenge Weisungs- und Kontrollrechte durch die Kommune nicht nachweisbar sind, dürfte es vor dem Hintergrund der EuGH-Urteile juristisch angreifbar werden, wenn die Kommune freihändig – also ohne Ausschreibung - die Aufgaben der Wasser- und Abwasserentsorgung an ihre Aktiengesellschaft delegiert. Falls die Kommune tatsächlich Herr im eigenen Haus bleiben will, kann sie nach dem „Halle-Urteil“ die gemischtwirtschaftlichen ppp-Modelle ohnehin vergessen.

Aber auch das „Aussourcen“ von Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge an kommunaleigene Aktiengesellschaften könnte sich als riskantes Abenteuer erweisen. Sicher sind nur die Kommunen, die die Wasser- und Abwasserentsorgung weiterhin als Regiebetrieb oder als kommunalen Eigenbetrieb organisiert haben! Den meisten Gemeinderäten sind das Halle- und das Brixen-Urteil des EuGH unbekannt. Die privatisierungsskeptischen Gruppierungen - von attac bis zu Wasser in Bürgerhand - sollten mit dem Rückenwind des EuGH darauf drängen, dass kommunale Eigenbetriebe erhalten und ppp-Gesellschaften rekommunalisiert werden. Den Gemeinderäten müssen die Augen geöffnet werden, dass die Kommunen bei ppp-Gesellschaften - und eventuell auch bei kommunalen Aktiengesellschaften - die kommunale Daseinsvorsorge unweigerlich einem EU-weiten Ausschreibungswettbewerb ausliefern.

-ng-


Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF berichtet regelmäßig über die Angriffe auf die kommunale Daseinsvorsorge. Interessierte können kostenlose Ansichtsexemplare anfordern.



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